Forschung / Dokumentation: Rückblick und aktueller Stand
Der Orpheus Trust hatte sich zu Ziel gesetzt, Leben und Werk von vertriebenen, verfolgten oder im KZ getöteten Musikschaffenden (KomponistInnen, InterpretInnen, MusikwissenschafterInnen und MusikpublizistInnen), die Österreich oder die ehemalige Donaumonarchie zur Heimat hatten, zu erforschen und zu dokumentieren.
Dies geschah mit dem Aufbau einer DATENBANK, die bei der Vereinsauflösung im Juni 2006 biografische und künstlerische Daten zu über 4.570 Musikschaffenden umfasste, sowie einer 'Werkdatenbank' mit über 11.000 Werken solcher Komponisten. Da diese Datenbank als 'strukturierter Behälter' für die Ergebnisse unserer Grundlagenforschung vor allem auf eine möglichst breite Sicherung aller - möglicherweise - verfolgten Musikschaffenden gerichtet war (es gab in den ersten Jahren noch sehr wenig Sekundärliteratur, eine wichtige Quelle war das Wiener Adressbuch) diente sie in erster Linie der Durchführung von Veranstaltungen und war als work-in-progress angelegt. Diese Datenbank ist heute nicht mehr aktuell: Zwei Drittel der Datenblätter müssten ausgeschieden oder zusammengelegt werden, da entweder kein 'Österreich-Bezug' und/oder kein Beruf auf dem Gebiet der Musik gegeben ist und sogar in einigen wenigen Fällen der Verfolgungstatbestand nicht gegeben war. Namensänderungen im Exil oder bei Verehelichung sowie Künstlernamen führten darüber hinaus zu zahlreichen Doubletten.
Trotzdem: Es war ein Beginn gemacht.
Mithilfe von 'ORAL-HISTORY'-INTERVIEWS mit Vertriebenen und ihren Angehörigen entstand anfangs eine eminent wichtige Quelle. Die meisten Betroffenen der jüngeren Generation waren bereits hochbetagt, weshalb wir nicht auf eine Finanzierung warten wollten und einfach angefangen haben. Erst in diesen Interviews wurde erahnbar, welches Ausmaß die Vernichtung des Musiklebens und der Menschenleben in der NS-Zeit angenommen hat. Mit Informationen über Lehrer, Schüler, Kollegen, Freunde und Verwandte mit Berufen auf Musikgebiet, die in keinem Exil-Handbuch dokumentiert sind, haben unsere Interviewpartner uns geholfen, die Forschung um ein großes Stück voran zu bringen. Im Juni 2006 lagen in unserem Archiv insgesamt 215 Interviews mit Lebensgeschichten von Zeitzeugen aus Österreich, Großbritannien, Israel, Frankreich, den Niederlanden und den USA auf DAT und in transkribierter Form vor.
Zwischen 2002 und 2005 wurde, ausgehend von den Datenbanken des Orpheus Trust, an dem dreijährigen, unabhängigen und vom FWF geförderten Forschungsprojekt 'Verfolgte Musik' unter der Leitung von o.Univ.-Prof. Dr. Jürg Stenzl (Universität Salzburg, Institut für Musikwissenschaft) gearbeitet. Mitarbeiter waren Dr. Gerhard Scheit, Dr. Primavera Gruber (Projektleitung vor Ort), Mag. Winfried Schneider, Mag. Dr. Irene Suchy, Mag. Dr. Evelyn Adunka und Mag. Sabine Reiter. Trotz positiver Endgutachten und den Verweis auf die Notwendigkeit eines Folgeprojekts wurde ein solches leider nicht gefördert, weshalb die Arbeit privat finanziert fortgesetzt werden musste.
Das ARCHIV mit den von uns geführten Interviews, den gesammelten Kompositionen, Tonaufnahmen, Fotos, biografischen Materialien (meist in kopierter Form) und einer Handbibliothek war an Wochentagen, auf Wunsch auch am Abend und in den Wochenenden zugänglich; schriftliche Anfragen wurden meist umgehend beantwortet. Es befindet sich heute im Archiv der Akademie der Künste Berlin unter dem Sammelbegriff 'Orpheus Archiv'. Darunter sind auch einige große Künstlernachlässe:
Im Dezember 1997 erhielt Orpheus Trust den künstlerischen Nachlass FRITZ SPIELMANNS, der vom Orpheus Trust im Literaturhaus aufgearbeitet und dort nach Terminvereinbarung öffentlich zugänglich war. Dem Orpheus Trust wurden in späteren Jahren auch die Nachlässe der Instrumentalisten ALFRED und HERMANN LUNGER, des Webern-Schülers KURT LIST, des Kammersängers FRANZ STEINER, ein Teilnachlass des Sängers und Schauspielers OSKAR KARLWEIS und der Nachlass des Komponisten und Direktors des Wiener Konservatorium ERWIN WEISS übergeben. Die Nachlässe wurden von uns inventarisiert und standen der Öffentlichkeit nach Terminvereinbarung zur Verfügung.
Das gesamte Material ist im Archiv der Akademie der Künste Berlin öffentlich zugänglich und abrufbar unter www.adk.de oder über info@adk.de. Auskunft und Beratung erhalten Sie auch bei Primavera Driessen Gruber.
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